Selbstfahrend oder lieber selbst fahren?
Sind selbstfahrende Autos wirklich so toll, wie in meiner Vorstellung?
Einsteigen, Anschnallen, Knopf drücken und von A nach B chauffiert werden. Vielleicht während der Fahrt eine Folge der Lieblingsserie schauen oder endlich mal das Buch lesen, wofür man sonst keine Zeit findet – je nachdem, wonach einem zu Mute ist. Und das alles, während das Auto einen ans gewünschte Ziel bringt. So stelle ich mir eine Fahrt mit selbstfahrenden Autos vor. Meinen Führerschein habe ich zwar, seit ich 18 Jahre alt bin, gefahren bin ich aber nie gerne. Zumindest nicht selbst. Selbstfahrende Autos klingen super, wären da nicht die die ethischen Dilemmata.
Status quo – wann werden K.I.T.T. und Herbie Realität?
Selbstfahrend ist nicht gleich selbstfahrend – Die Automatisierung erfolgt schrittweise vom assistierten Fahren über teilautomatisiertes und hochautomatisierten bis zum vollautomatisierten Fahren. Die letzte Stufe der Automatisierung ist dabei das autonome Fahren. Derzeit sind teilautomatisierte Fahrzeuge bereits nicht mehr von den Straßen wegzudenken. Teilautomatisiert heißt dabei, dass der:die Fahrer:in ständig das Fahrzeug beherrscht und den Verkehr immer im Blick haben muss. Aber das Fahrzeug bremst, beschleunigt oder hält in definierten Bedingungen selbst die Spur. Vollautomatisiert – das Level 5 – bedeutet, dass es keine Fahrer:innen mehr gibt und das Fahrzeug alles selbst automatisch macht. Fahrer:innen werden zu Passagier:innen. Vor allem in der Logistik gibt es derzeit Pilotversuche von vollautomatisiertem Fahren – in der individuellen Mobilität ist autonomes Fahren noch nicht angekommen.
Was muss alles noch passieren und welche Hürden müssen überwunden werden, damit mein Traum vom easy-peasy Fahrerlebnis, ohne selbst fahren zu müssen, in Erfüllung geht?
„Wirklich autonom – wie wir es teilweise aus Hollywood kennen – also ohne Fahrer:in und Fallback System wird es nach wie vor länger nicht geben. K.I.T.T. aus Knight Rider bleibt somit fürs erste eine Illusion“, erklärt Daniel Deimel, ÖAMTC-Experte für Fahrzeugkommunikation und autonomes Fahren. Deimel macht neben ethischer Aspekte vor allem drei Bereiche aus, die noch als Hürden bis zur flächendeckenden Einführung gelten: Technik, wirtschaftliche Aspekte und gesellschaftliche Akzeptanz.
Deimel: „Technische Hürden bestehen zweifelsfrei bei der Erfassung der Umgebung. Denn egal welche Sensorik zum Einsatz kommt (Radar, Lidar, Ultraschall, o. A.), es muss immer mit Beeinträchtigungen gerechnet werden. Das kann Regen, Nebel oder auch Sonneneinstrahlung sein. Auch die Verarbeitung der aufgenommen Werte ist alles andere als trivial, denn teils werden sehr große Datenmengen in und um das Fahrzeug verarbeitet.“
Die Kosten-Nutzen-Rechnung spielt auch beim autonomen Fahren eine Rolle. Einerseits müssen für die Weiterentwicklung zusätzliche Investitionen getätigt werden und sich der Automobilsektor dementsprechend verändern, andererseits könnte der Arbeitskräftemangel in der Logistik, sowie im Öffentlichen- und Güterverkehr ein treibender Faktor darstellen, um die Entwicklung schnell voranzubringen. Auch müssen Infrastruktur und Straßen angepasst werden.
Nicht alle teilen meine wohlwollende Einstellung gegenüber selbstfahrenden Autos – in der Gesellschaft herrscht Großteiles Skepsis und Misstrauen. „Die Geschichte lehrt uns, dass die Akzeptanz solcher doch rapiden technischen Neuerungen in der Bevölkerung nur langsam zunimmt. So wurde es auch bei aktuell verbauten Fahrassistenzsystemen vernommen, welche sich nunmehr überwiegender Beliebtheit erfreuen. Derzeit überwiegt noch eine gewisse Skepsis gegenüber hochautomatisiertem und autonomem Fahren im Großteil der Bevölkerung. Der Mensch verzeiht in diesem Fall der Technik keine Fehler – d.h. solange die Technologie nicht möglichst fehlerfrei funktioniert, wird die Skepsis nicht abnehmen“, erklärt Deimel.
Was passiert, wenn doch mal was passiert?
Das Hauptargument für autonomes Fahren ist nicht, dass man neben der Autofahrt Uno spielen oder am Weg in die Arbeit gemütlich frühstücken kann – es geht darum, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. „Automatisierte Fahrzeuge versprechen vorrangig die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmenden nachdrücklich zu verbessern in dem sie Unfälle verhindern. Moderne Fahrassistenzsysteme tragen bereits heute zu einer Reduktion an Unfällen oder gefährlichen Fahrmanövern bei. Mit zunehmendem Grad an Automatisierung erwartet man sich deshalb, dass Unfälle zukünftig Großteiles vermieden werden können, oder deren Auswirkungen minimiert werden.“ (Quelle: Bundesministerium Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Welchen Beitrag können automatisierte Fahrzeuge liefern? (bmk.gv.at)) Aber klar ist: Unfälle können auch beim autonomen Fahren nicht ausgeschlossen werden und werden vor allem in der Test- und Übergangsphase vorkommen. Was passiert also, wenn doch ein Unfall geschieht? Wer haftet? Wer ist schuld?
Diese rechtlichen Fragen sind noch nicht vollständig geklärt. „Bei den derzeitigen teilautomatisierten Fahrzeugen sind Lenker:innen selbst für ihr Verhalten verantwortlich, auch bei aktivierten Assistenzsystemen. Wenn es aber keine Lenker:innen im eigentlichen Sinne mehr gibt, wird sich das Verhältnis zwischen Verschuldenshaftung des:der Lenker:in und verschuldensunabhängiger Gefährdungshaftung durch Fehlfunktionen des Fahrzeuges ändern“, erklärt ÖAMTC Chefjurist Martin Hoffer.
Auch wenn die rechtliche Lage im Produkthaftungsbereich noch nicht ganz auf die autonomen Fahrzeuge angepasst erscheint, ist klar: die Hersteller – und auch die Ersteller der entsprechenden Software – werden bei Unfällen Verantwortung übernehmen müssen, denn es könnte durchaus eine Fehlprogrammierung oder ein Systemfehler für einen Unfall verantwortlich sein.
Zwischen Straße und Hörsaal – das Trolley-Problem
Wenn Menschen hinterm Steuer sitzen und eine unerwartete Situation eintritt, können Fehler und Unfälle passieren. Oft geht alles so schnell, dass Menschen gar keine Zeit haben abzuwägen, ob sie das Lenkrad herumreißen und gegen einen Baum fahren und sich selbst dadurch mehr gefährden oder gegen ein anderes Auto prallen. Vieles passiert automatisch und instinktiv. Beim autonomen Fahren ist das eine Entscheidung – eine Rechnung, die meist davor schon gemacht wurde, bevor die Situation überhaupt erst entsteht.
Was hat das alles nun mit einem Hörsaal zu tun? In meinem ersten Semester des Philosophiestudiums, in einer Vorlesung zur praktischen Philosophie, haben ich vom Trolley-Problem gehört. Das Trolley-Problem ist ein ethisches Gedankenexperiment, an das ich sofort denken musste, als ich mich mit autonomen Fahren auseinandergesetzt habe. Das Trolley-Problem stellt die Frage, ob es moralisch vertretbar ist, eine Entscheidung zu treffen, bei der man zwischen verschiedenen negativen Konsequenzen abwägen muss. In seiner klassischen Form geht das Gedankenexperiment folgendermaßen: Ein Zug rast unkontrolliert auf fünf Menschen zu, die sich auf den Gleisen befinden. Man selbst steht an einem Weichenhebel und hat die Möglichkeit, den Zug auf ein anderes Gleis umzuleiten, auf dem nur eine Person steht. Ist es ethisch vertretbar, oder sogar moralische Pflicht, den Hebel umzulegen, um das Leben von fünf Menschen zu retten, auch wenn dadurch eine Person sterben würde? Soll man diese aktive Handlung durchführen, um statt fünf Menschen nur eine Person zu gefährden? Und wie verändert sich die Entscheidung wenn fünf alte Menschen und ein Baby die Protagonist:innen sind? Wie so oft während des Philosophiestudium, habe ich den Hörsaal mit mehr Fragen als Antworten verlassen, denn das Trolley-Problem kann so einfach nicht eindeutig gelöst werden.
Im Kontext des autonomen Fahrens wird das Trolley-Problem relevant, da selbstfahrende Autos in der Zukunft möglicherweise vor ähnlichen moralischen Dilemmata stehen könnten. Wenn ein autonomes Fahrzeug in eine Situation gerät, in der es z. B. zwischen dem Schutz des:der Fahrer:in und dem Schutz von Fußgänger:innen abwägen muss, welche Entscheidung sollte es treffen? Sollte das Auto beispielsweise einen Unfall verursachen, um einen größeren Schaden zu verhindern, oder sollte es Insass:innen schützen, auch wenn dadurch andere Menschen gefährdet werden?
Mein persönliches Fazit: lieber selbstfahrend oder selbst fahren?
Ja klar, die Vorstellung selbstfahrender Autos für den privaten Nutzen ist sehr komfortabel und toll – aber ich lebe seit fast 10 Jahren in der Stadt und bin nicht auf ein eigenes Auto angewiesen. Dennoch freue ich mich schon darauf, wenn Carsharing-Autos autonom fahren können und nicht nur die Verkehrssicherheit dadurch enorm steigt, sondern ich bei Bedarf auch mal ein Fahrzeug ausborgen kann, ohne selbst lenken zu müssen. Bevor das passiert, muss sich erstens die Technologie weiterentwickeln und zweitens auch ethische Dilemmata und rechtlichen Fragestellungen geklärt werden. Bis dahin bleibe ich begeisterte Öffi-Nutzerin und passionierte passenger princess.
Eberharter Anna (she/her) ist seit Jänner 2022 beim ÖAMTC im Team der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Ihre Themenschwerpunkte beim Mobilitätsclub sind Reisen und Tourismus sowie Diversität und Inklusion. In ihrer Freizeit setzt sich Eberharter für Feminismus und Gleichstellung ein. Sie ist kunstinteressiert, mag Bücher und Podcasts und hat ein Faible für Zimmerpflanzen.